Mein Aikido » Literatur


Morihei Ueshiba (1883-1969)


Aikido

wird ebenso wie Kendo, Judo und Karate zu den japanischen Kampfkünsten gezählt. Der Sammelbegriff dafür heißt im Japanischen BUDO. Aikido ist die jüngste Disziplin und wurde von Morihei Ueshiba (1883 bis 1969) entwickelt. Ueshiba war ein anerkannter Meister in Japan, und sein Budo orientiert sich am harmonischen Miteinander. Das heißt, im Aikido gibt es im Gegensatz zu den anderen genannten Disziplinen keine Wettkämpfe, keine Sieger, keine Preise.... Deshalb tue ich mich schwer, Aikido als Wettkampfsport zu bezeichnen. Es geht nicht darum stärker oder besser zu sein als andere; Ziel ist es, sich im Einklang mit sich und der Umwelt zu bewegen. Von möglichen "Angreifern" muss diese Harmonie nicht gestört werden, wir können lernen, ihre Bewegung ganz einfach zu assimilieren. Aber da war doch noch was? …Bewegung mit Geist und so?! In unserem Sprachraum braucht jede körperliche Betätigung einen geistigen Hintergrund. Deshalb habe ich versucht, meine Erfahrungen der letzten Jahre, in ein paar Artikeln zusammen zu fassen. Über jeden Aufsatz könnte man ein Buch schreiben und ich empfehle dem aufmerksamen Leser ein regelmäßiges Üben. Dem Kampfsportler, oder dem Selbstverteidigungsaktivisten empfehle ich das Literaturverzeichnis auf meiner Homepage unter www.aikidozentrum.de. Viel Spaß dabei.

Über die Kopfarbeit (1)

Jeder von uns hat seine Sorgen und ist vertraut mit dem permanenten Strom der Gedanken, den die Notwendigkeit, unser Leben in der Gesellschaft zu organisieren, erzeugt. Wie bekomme ich genug Geld? Was mache ich mit den Kindern? Wohin geht die Urlaubsreise? Was mache ich am Wochenende? Usw...usw. Unsere Vorfahren mußten sich diesbezüglich weniger Gedanken machen. Sie bezogen ihre Lebensklarheit aus Sachzwängen und den Traditionen des Kollektivs. Die Möglichkeiten zu individueller Lebensgestaltung sind in unserer Zeit zwar größer geworden, angesichts des schnellen Wandels der Lebensbedingungen, der unübersehbaren Vielfalt von Entscheidungsalternativen und dem größeren Geflecht von Abhänigkeiten aber auch schwieriger, manchmal sogar bedrückend. So müssen wir einengroßen Teil unseres Bewußtseins in das Vorausdenken investieren. Für die Gegenwart, für das tatsächliche Leben, verbleibt nur noch ein geringer Rest an geistiger Zugewandtheit. Es gibt Zeiten, in denen wir uns nichts anderes wünschen, als ausschließlich dem Augenblick zugetan zu sein. Problematisch ist, wenn es uns nicht mehr gelingt dies zu erreichen. Wir können nicht mehr "abschalten". Abschalten meint zumeist, sich entweder aktiv, durch einen einfachen Willensakt, oder passiv, durch eine in Anspruch genommene Form der Therapie, vom Summen der Gedanken frei zu machen. Selbst dafür haben wir diverse Technken entwickelt. Beim Aikido ist das anders. Hier räumen wir die an der Zukunft oder der Vergangenheit orientierten Gedanken durch körperliche Arbeit und entspannte Bewegung im rechten Augenblick beiseite. Wir trocknen den unerwünschten Gedankenstrom nach und nach aus, ohne das Gehirn, bzw, unser Denken ab- oder auszuschalten. Beim aufmerksamen Spiel des Werfens und Geworfen- werdens, des Bewegens und Bewegtseins, muß unser Geist sehr intensiv arbeiten. Doch dieses Denken ist im Gegensatz zur abstrakten Gedankentätigkeit des Alltags, ein instinktnaher und ganz und gar sinnes- und körperbezogener Intelligenzprozeß. Das augenblickliche koordinieren von Sinneseindrücken und Bewegungsvorgängen wird zur wichtigsten Leistung unseres Kopfes. Bei gutem Aikido ist die "kongrete" Intelligenz gefordert. Natürliche Bewegung kann man sich vorher nicht ausdenken, sonst ist man immer zu Spät. So befreit Aikido von der Bürde des Denkens, ohne unser Gehirn außer Kraft zu setzen. Es wird nur eine andere Art von Denktätigkeit, eine viel elementarere, aktuell, die sich weitgehend außerhalb unseres Bewußtseins abspielt und die- dies ist in dem vorliegenden Zusammenhang das Entschedende- als Wohltat und nicht als Last empfunden wird.


Reflexionen über Aikido als „inneren Weg“ (2)

Der geistige Anspruch im Aikido

Viele Menschen, die Aikido sehen, sind nicht nur fasziniert von der Dynamik, Kraft und Ele-ganz, die in seinen Bewegungen liegen, sondern auch von der Übungsatmosphäre, der Kon-zentriertheit der Übenden sowie von der Ruhe und Würde, die in den zum Aikido gehörenden Ritualen liegen. Wenn man sich entscheidet, Aikido zu trainieren, erschließen sich dem Ü-benden nur langsam die ganze Komplexität wie auch der vitale Ausdruck, die in diesem Me-dium liegen ebenso, wie seine auf die innere Verfassung gerichtete Art des Übens. Aikido vitalisiert und „ordnet“ zugleich den Menschen. Darüber hinaus hat Aikido aber auch noch einen geistigen Anspruch. Wir alle kennen durch die Vermittlung unserer japanischen Lehrer, insbesondere Meister Asais, die Botschaft, die O-Sensei Ueshiba als sein eigentliches Anlie-gen ansah, nämlich Aikido als einen Weg des Friedens und der Harmonie mit der Schöpfung zu begreifen. O-Sensei sprach offenbar sogar von Harmonie mit dem Universum, die es anzu-streben gelte. Aikido will also zumindest ein Weg sein, auf dem der Übende in innere und äußere Harmonie zu der ihn umgebenden Schöpfung kommt. Ist schon die technische Seite des Aikido äußerst kompliziert und erfordert viele Jahre, um sie sich auch nur halbwegs gut anzueignen, so ist der innere Anspruch dieses Mediums noch viel schwerer zu erreichen. Bedeutet er doch, dass der Übende mit sich selbst sowie mit der ihn umgebenden Schöpfung einen wirklichen Ein-klang anstrebt. Dabei geht es weniger um einen alternativen Lebensstil, sondern um den Men-schen in seiner ganzen Person. Auf den Übungsweg bezogen geht es darum, wie der Übende über die Aikidopraxis diesem Ziel näher kommen oder es vielleicht sogar realisieren kann. Dazu soll der Übungsweg führen oder doch mindestens beitragen. Seit vierzig Jahren wird in Deutschland Aikido geübt. Will man das Medium Aikido über seine Techniken hinaus erfassen, ist es hilfreich, den Blick auch auf das beim Üben verborge-ne „innere Geschehen“ des Praktizierenden zu richten. Neben einem qualitätsvollen Trainie-ren und Weitergeben der Techniken halte ich also ebenso eine Berücksichtigung und Reflexi-on des „inneren Weges“ für ein Erschließen der Botschaft des Aikido für bedeutsam. Dabei ist nicht die Reflexion das Ziel, sondern im Üben selbst soll die tiefere Botschaft des Aikido er-fahren und realisiert werden. Auf das Medium bezogen heißt das, zu fragen, auf welche Weise die Übungspraxis dazu beitragen kann, diesem Ziel näher zu kommen. So gibt es, wie jeder Übende aus Erfahrung weiß, verschiedene Arten eine Technik auszufüh-ren. Je nach dem, wie man eine Technik macht, hat sie nicht nur eine andere Wirkung im Au-ßen, also auf den Trainingspartner, sondern auch auf uns selbst. Diesem inneren Geschehen will ich mich in den folgenden Überlegungen widmen. Dabei gestatte ich es mir, die Voraus-setzungen, die bei der Verwendung des religions-philosophischen und psychologischen Vo-kabulars von mir gemacht werden, im Interesse einer Begrenzung nicht zu erläutern.


Innere Störungen oder „Makyo“ im Aikido (2)

Diese Störungen können Gedanken und Emotionen des Alltags sein, die wir zum Training mit¬bringen, sie können in unseren Persönlichkeitsanteilen bestehen, die uns ständig begleiten, und sie können durch das Medium selbst hervorgerufen werden, das wir üben. Auch wenn der Vergleich nur bedingt möglich ist, sei hier auf das Zen verwiesen, wo diese inneren Störungen als „Makyo“ – Teufelswelt (Übersetzung: H. Lasalle) bezeichnet werden. Sie können beim Aikido in Mächtigkeitsphantasien, aber auch in Ängstlichkeiten bestehen, die beim Ausführen einer Technik auftauchen. Sie können aber auch in zu großem Ehrgeiz liegen sowie in unseren vielfältigen Eitelkeiten, bis hin zu Empfindungen eigener Großartigkeit und einem Selbst-Verliebtsein, was durch die Ästhetik des Me¬¬¬diums wie durch unsere Übungsfortschritte im Ausführen der Techniken bewirkt werden kann. Diese inneren Vorgänge sind uns oft nicht oder nur wenig bewusst, auch wenn sich manches im Laufe der Jahre abschleift und legt. All diese Emotionen, Gedanken und inneren Bilder gehören zu uns, aber sie verhindern auch, dass wir ganz und gar bei dem sind, was wir gerade tun. Und sie verhindern, auch wenn sie uns nicht bewusst sind, dass unser eigentliches Selbst, das frei ist von Alltagsproblemen, E-goismen, Ängstlichkeiten, Eitelkeiten oder anderen persönlichen Inhalten, sich durch das Training entwickeln kann. Es geht nicht darum, diese inneren Vorgänge abzuschneiden, das hilft meiner Erfahrung nach nur kurze Zeit, sondern darum, sich ihrer gewahr zu werden und sie nach und nach zu lassen (loszulassen). So wie sich uns der Übungsweg in seiner ganzen Vielfältigkeit und Kompliziertheit nur im Verlauf von Jahren er¬schließt, so können wir auch unsere inneren störenden Vorgänge nur langsam loslassen. Ein Aikidoka steht – seinen inneren Weg betreffend – also vor einem zweifachen Problem. Zum einen muss er auf seinem Übungsweg neben dem Erlernen und effizienten Anwenden der Techniken so üben, dass er sich im Üben nicht an das Außen (an die Technik und den zu kontrollierenden Partner) verliert. Die Wiederholung und gewonnene Sicherheit muss viel-mehr ermöglichen, dass ihn der Übungsweg seiner eigentlichen Wesensnatur, „dem wahren Selbst“, näher bringt. Dazu bedarf es einer Freiheit von inneren Vorgängen, die verhindern, dass der Übende und die Technik nach und nach eins werden. Dieses Eins-Werden mit der Übung ist eine Voraussetzung für das Erwachen der eigentlichen Wesens-Natur in uns. Wir selbst aber stehen mit unseren verschiedenen Persönlichkeitsanteilen diesem Erwachen am stärksten entgegen.


Entwicklung und Perspektive (2)

Dieser Entwicklungsprozess braucht Zeit und ist eher unspektakulär, dafür aber umso nach-haltiger, da der zunehmende Fortschritt in der Übereinstimmung von Außen und Innen ein Gefühl der Ganzheit und damit des Friedens vermittelt und zur Wiederholung und Weiterent-wicklung motiviert. Zu einem Ende kommt man auf einem solchen Weg wohl kaum, da wir als Menschen immer wieder mit inneren wie äußeren Diffusitäten konfrontiert sind. Vieles von dem, was ich versuchte über einen „inneren Weg“ zu formulieren, geschieht si-cherlich beim Trainieren ganz unbewusst dadurch, dass wir es einfach tun ohne darüber nach-zudenken. Dennoch glaube ich, dass mitunter eine Reflexion auch des inneren Geschehens beim Üben für den Gesamtfortschritt hilfreich sein kann, da wir uns durchaus manchmal auf der Stelle bewegen, wo wir doch meinen, uns weiterentwickelt zu haben.

Zitate

Aiki is not a technique to fight with or defeat the enemy. It is the way to reconcile the world and make human beings one family.

True budo is to be one with the universe, that is to be united with the Center of the universe.

To compete in techniques, winning and losing, is not true budo. True budo knows no defeat. "Never defeated" means "never fighting".

Morihei Ueshiba


Über meine Aikidoschule

Oft werde ich am Telefon gefragt: Machen sie in ihrem Sportstudio auch Fitness und welche Geräte haben sie? Es tut mir leid, ich habe kein Sportstudio, keine Geräte, kein Fitness und keine Sauna, geschweige denn eine Protein Bar. Bei mir gibt es eine Übungsmatte, zwei Umkleideräume, eine Dusche und fürs Kindertraining ein paar Springseile. Ansonsten ist der Übungspartner ihr wertvollstes „Trainingsgerät“. Jeder kann sich in Aikido üben, unabhängig von seinem Alter und Geschlecht. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen wäre wünschenswert. Zum Kennen lernen und zu kostenlosem Probetraining stehen die Räume für jeden offen. Anfänger sind herzlich willkommen, schließlich hat jeder Meister einmal angefangen. Was veranlasst Menschen, neben ihrer täglichen Arbeit, vollkommen "nutzlose" Dinge zu tun? Mit doppelter und dreifacher Intensität vergeuden sie Geld und Freizeit für Sachen, die in dieser Gesellschaft überhaupt keinen sichtbaren Nutzen bringen. Leiden wir an einem Mangel, oder bereichern wir uns?

Training für Körper und Geist

„ Im Sportstudio kann ich zu jeder Tages und Nachtzeit üben! Dazu bin ich unabhängig von Wind und Wetter und auf dem Laufband werde ich über keine Wurzeln stolpern, oder mich auf vereisten Wegen verletzen.“ Dummerweise steckt in diesem Satz das ganze Dilemma. Auf einem Hometrainer wird Radfahren zu einer physikalischen Übung reduziert. Gleichgewicht halten, Straßenbahnschienen oder einem Stein ausweichen, den eigene Körperrhythmus dem Gelände anpassen, sind enorme Aufgaben für unser Gehirn und erfordern für einen Roboter eine Rechenleistung, wie sie zur Zeit noch von keiner Maschine zu bewältigen ist. Auch unser Gehirn muss diese Leistung erbringen, sie passiert meist im Unterbewussten und wird, im Gegensatz zur abstrakten Gedankentätigkeit des Alltags, vom Körper als Wohltat und nicht als Last empfunden. Auf einem Laufband nehme ich der Bewegung alles, was bei einem Spaziergang meinen Geist erfrischt und die Seele beruhigt. Mit der Koordinierung von Sinneseindrücken und der Orientierung im Raum ist unser Geist enorm gefordert. „Kinder die nicht rückwärts gehen, können nicht rechnen!“ Wer sich mit dem Körper im Raum orientieren kann, kann sich auch in der abstrakten Zahlenebene rauf und runter, vor und zurück bewegen. Auch Erwachsene sollten die bloße körperliche Bewegung nicht zu gering schätzen.

Sport ist nicht alles

natürliche Bewegung haben alle drin, z.B. auf neudeutsch, im Anti-Aging. Es gibt junge und alte 60 Jährige. Alt ist und immer älter wird der, der seinen Alltag routinemäßig gestaltet und nicht mehr bereit ist, seinem Gehirn neue Bewegungsmuster ab zu verlangen. Diese Faulheit nimmt mit dem Alter leider zu. Auch das Gehirn eines Mathematik-professors wird alt, wenn seine anspruchsvolle Vorlesung zur Routine wird. Bin ich bereit, immer neue Denkmuster anzulegen, dann erhalte ich meine geistige Frische bis ins hohe Alter (was einem Mathematiker sicher leichter fällt als einem Fließbandarbeiter). Neueste Forschungen zeigen: Dabei ist es zweitrangig, wie viel Sport habe ich im Leben betrieben, wie viel habe ich geraucht, gesoffen oder Sex gehabt. Oft wird älteren Menschen empfohlen eine neue Sprache zu lernen. Der Alterungsprozess läst sich damit nicht stoppen, aber verzögern. Die Liste der Anti-Aging-Methoden ist lang. Mediziner wollen den Alterungsprozess aufhalten und Hormone verkaufen. (Im Angebot sind z.B. das Melatonin, ein Hormon das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert, oder das DHEA, ein Prohormon des Testosteron, das die Muskeln stärkt und die Haut glättet.) Als Anti-Aging-Verfahren ist nichts wissenschaftlich erwiesen. Ebenso ist die Frischzellen-therapie höchst umstritten, geradezu in Verruf geraten. Fakten für Langlebigkeit sind: Eine ausgewogene Ernährung, eine gute Bildung und viele soziale Kontakte. Ein gutes, nachgewiesenes Rezept, das alle drin haben, wäre Sport in natürlicher Bewegung. Dann bitte keine eindimensionalen, von Maschinen geführte Formen, in endlosen Wieder-holungen. Lieber Federball, wer Spaß daran hat. Als Bewegungsmensch kann ich mich ebenso für Fußball, oder Tanzen begeistern. Verliebt bin ich in die Disziplin Aikido und möchte sie, hoffentlich nicht krampfhaft, jedem nahe bringen. Es ist der Spaß, immer mit Menschen zu arbeiten, jede Bewegung wird links- und rechtsseitig ausgeführt. Hinsetzen, wieder aufstehen, Körperdrehungen und Purzelbäume sind Bewegungsmuster, die wir nicht routinemäßig abspeichern können, aber immer neu erschaffen müssen.


Jutsu und Do (2)

Das Üben eines der traditionellen „Wege“ Japans, wie des Schwertziehens (Iai-do), Bogen-schießens (Kyu-do) oder des Aiki-do, aber auch der eher kontemplativen Wege wie des Tee-weges (Cha-do) hat das Ziel, den Übenden über die Konzentration und Wiederholung der Übung von den zerstreuenden Aspekten des Alltags wegzuführen und ihn zu sich selbst hin-zuführen. In der – oft rituellen – Wiederholung einer Übung werden die diffusen Persönlich-keitsanteile abgelegt und der Übende erfährt „am eigenen Leib“ eine heilsame Struktur, die ihn ordnet und die ihn in der aufmerksamen Wiederholung zu sich selbst hinführt. Durch die Wiederholung der Übung soll der Übende nach und nach zu der Schicht seiner Person gelan-gen, die in den Traditionen Ostasiens als das „wahre Selbst“ bezeichnet wird. Ein wesentliches Problem, das sich dem Übenden stellt, ist also die Frage, wie die Wiederho-lung einer Übung ihn diesem Ziel näher bringen kann. Dass die Wiederholung an sich nicht ausreicht, zeigt allein die Unterscheidung im Japanischen, das zwischen „Do“ – Weg und „Jutsu“ – Technik unterscheidet. „Jutsu“ meint das pragmatische Üben und Anwenden einer Technik, während „Do“ das innere Wachsen eines Menschen durch das Üben meint. Einen „Do“ zu gehen, bedeutet, nicht allein das Medium zu beherrschen, sondern der Ü-bungsweg soll zum Spiegel der eigenen Person werden und zu unserer Entwicklung beitragen. Der Sinn der Wiederholung dabei liegt nicht nur darin, Sicherheit in der Ausführung einer Technik zu bekommen und so zu einer größeren äußeren und inneren Sicherheit und Ruhe zu finden. Der tiefere Sinn der Wiederholung einer Übung (im Aikido – Kata) besteht darin, zu einer größeren Übereinstimmung mit unserem eigentlichen Wesen, dem „wahren Selbst“, zu kommen. Das schließt notwendigerweise den schrittweisen Wandel unserer Persönlichkeit mit ein. Im Gegensatz zu den oft komplexen Anforderungen, die der Alltag an uns stellt, ermög-licht ein Übungsweg, als „Do“ verstanden, durch seine Struktur, Wiederholung und Konzent-ration, unsere äußeren, funktionierenden Persönlichkeitsschichten zu überschreiten und uns selbst beim Üben substantieller zu begegnen als im Alltag. Ob ein Übungsweg in diesem Sin-ne zu einem Spiegel unserer Entwicklung wird, hängt zu einem großen Teil davon ab, inwie-weit der Übende im Laufe der Zeit eine Wahrnehmungsfähigkeit für sich entwickelt, die über den äußeren Ablauf, ja sogar über Aspekte wie Ruhe und Konzentration hinausreicht und die sich auf die Substanz seiner Person bezieht.


Kongruenz zwischen Technik und menschlicher Reife (2)

Der Übende muss also zum anderen mit den inneren Störungen, die durch unser Mensch-Sein und das Leben bedingt sind, so umgehen, dass sie ein inneres Wachsen nicht verhindern. Hat er ein Sensorium für diese Störungen und stellt er sich ihrer Bewältigung ebenso, wie der wei-terhin erforderlichen Konzentration im Außen, kommt er mit der Übung auf einen Weg, der am Ende im Eins-Sein mit der Übung die Kongruenz zwischen ausgeführter Technik und menschlichem Reifen durchscheinen lässt. Diese Kongruenz zwischen Technik und gereiftem Mensch-Sein geht über eine hervorragen-de, ja vielleicht faszinierende Technik hinaus. Sie ist das Ergebnis des „Do“, den der Prakti-zierende mit dem Medium und sich selbst gegangen ist. Der äußere Betrachter wird bei einem solchen Übenden nicht nur eine große Präsenz wahrnehmen, sondern auch den Eindruck eines harmonischen Ganzen bekommen, der sich auf die Person und die von ihr ausgeführte Tech-nik bezieht. Selbst wenn Fehler in der technischen Ausführung erkennbar sein sollten, so wird man doch sehen, dass hier ein langer Weg gegangen worden ist, der sich nicht nur auf das Üben und Vervollkommnen der Technik beschränkt hat, sondern auf dem sich der Mensch mit seiner gesamten Persönlichkeit einbezogen hat. Ist er mit der Technik wirklich eins geworden, hat sich der Übende nicht nur das Medium erarbeitet, sondern ist immer wieder auch sich selbst begegnet und hat sich mit seinen Stärken und Schwächen auseinandergesetzt. Zusammen mit dem fortgesetzten Training ist diese „in-nere Arbeit“ an sich selbst eine Bedingung, um ein Eins-Werden mit der Übung zu realisie-ren. Möglicherweise (und wohl oft genug auch wahrscheinlich) gelingt es uns aufgrund unserer Begrenzungen nicht, ein so hohes Niveau, wie das Eins-Werden mit den Aikidobewegungen oder das Erwachen des „wahren Selbsts“, wirklich zu erreichen. Ungeachtet der Frage, wie weit wir uns im Aikido entwickeln, halte ich den „Weg“, also den menschlichen Ent-wicklungs- und Reifungsprozess, der im – auch begrenzten – Trainieren und Erwerben des Aikido und in der Verbindung mit der Arbeit an uns selbst besteht, für das eigentlich anzu-strebende innere Ziel wie auch für die Frucht dieses Übungsweges. Versteht man Aikido nicht nur als einen Kampfsport, sondern auch als einen inneren Weg (Do), muss man folglich über das äußere Trainieren der Techniken hinausgehen und sich selbst in den Übungsprozess ein-beziehen. Ein solcher Entwicklungs- und Reifungsweg bedeutet darüber hinaus aber auch, kein „Ziel“ mehr anzustreben, sondern diese dauernde Arbeit an sich selbst als das eigentliche Ziel des Übungsweges zu begreifen.


Fortsetzung Entwicklung und Perspektive

Meine Überlegungen zu einem „inneren Weg“ waren grundsätzlicher Natur und haben sich insbesondere mit dem Problem der inneren Achtsamkeit und ihrer Bedeutung befasst. Die komplexe Thematik der Silbe „Ai“ in ihrer Bedeutung als harmonische Verbindung und des gleich lautenden Kanjizeichens in seiner Bedeutung als Liebe wie auch die Thematik des „Ki“ als geistige Energie haben sie außer Acht gelassen. Es ging mir vor allem um eine Reflexion der inneren Prozesse des Übenden aus einer europäisch-philosophischen Tradition heraus, wobei natürlich der kulturelle Kontext, aus dem Aikido stammt, zugrunde gelegt wurde. Auch haben meine Betrachtungen das Problem der körperlichen Begrenzungen, sei es durch Anlage oder durch Alter, unberücksichtigt gelassen. Und doch sind wir alle auch mit unseren je individuellen Grenzen konfrontiert. So kommen in den nächsten Dekaden viele hoch gradu-ierte Danträger in ein fortgeschrittenes Alter und die körperlichen Möglichkeiten, die sie in ihren zwanziger oder dreißiger Jahren hatten, stehen ihnen dann nicht mehr voll zur Verfügung.Dennoch haben sie sich ein hohes Maß an Können und einen großen Erfahrungsschatz erarbeitet.


3-D Laternen Yamaguchi

  • (1) Ulrich Aufmuth
    Psyccologie des Bergsteigens
    Man kann Bergsteigen wegnehmen, und Aikido oder Tango einsetzen. Ein tolles Buch
  • Kisshomaru Uyeshiba
    Aikido
    ISBN 0-87040-268-4
  • (2) Gerhard Kronberg
    Reflexionen über Aikido
    als inneren Weg
  • Christian Tissier
    Aikido Fondamental
    ISBN 2-901551-10-6
  • A. Westbrook & O. Ratti
    Aikido And The Dynamic Sphere
    ISBN 0-8048-0004-9
  • A. Westbrook & O. Ratti
    Secrets Of The Samurai
    ISBN 0-8048-0917-8
  • Rudolf Brand
    Aikido
    ISBN 3-8068-0537-7
  • Eugen Hölzel
    Aikido-Fibel
    ISBN 3-87892-022-9
  • Das Aikido-Brevier
    ISBN 3-87892-045-8
  • Koichi Tohei
    Das Ki-Buch
    ISBN 3-921508-13-4
  • Koichi Tohei
    Ki im täglichen Leben
    ISBN 3-921508-14-2
  • Eugen Herrigel
    Der Zen-Weg
  • Eugen Herrigel
    Zen in der Kunst des Bogenschießens
  • Karlfried Graf Dürckheim
    Hara
  • Rudolf zur Lippe
    Am eignen Leibe
    ISBN 3-8108-0070-8
  • Yoshi Oida
    Der unsichtbare Schauspieler
    ISBN 3-89581-035-5

Warum Aikido und nicht Fußball

Körperliche und geistige Ertüchtigung, Koordination, Gleichgewicht und Orientierung, lässt sich praktisch mit jeder Sportart trainieren. Wo liegt nun der Unterschied zum Aikido, oder dem erweiterten Begriff, dem Budo? Hierzu sollten wir etwas tiefer in die asiatische Denkweise einsteigen, was sich leider nicht mit ein paar Zeilen abhandeln lässt. Wer sich im traditionellen Asien einer Kunst verschrieben hat, der übt immer an seiner Mitte, dem Hara. Ein Mensch, der seine Mitte gefunden hat, hat einen entspannten Körper. Das Ki, die Lebensenergie, kann dadurch frei fließen und er ist zu erstaunlichen geistigen und körperlichen Leistungen fähig. Einen gesunden, starken Körper, ein paar effektive Selbstverteidigungstechniken nimmt er auf seinem Weg gern mit. Im westlichen Denken ist unser Tun hauptsächlich am Ergebnis orientiert. Wir streben nach Sieg, nach Stärke und Schönheit und wer im Sport Punkte sammelt, kann auf Umwegen mit Anerkennung und gewonnenem Selbstver-trauen rechnen. Die über 30 Jährigen haben es da schon schwerer. Aber wer Budo übt, übt direkt an seiner Seele, sagt Ueshiba, der Begründer des Aikido. Es liegt an unserer Zeit, auch im modernen Asien, wenn alle nur nach dem Ergebnis trachten. Die Blüte zählt mehr als die Frucht. Ein seltsamer Schönheitswahn verlagert, mit übertriebener Muskelmassen im Oberkörper, den Schwerpunkt. Was zu einem Verlust an Beweglichkeit und Gleichgewicht führt. Dieses Denken spiegelt sich in allen Lebenslagen wieder. Es stimmt nicht mehr und es lohnt sich darüber nachzudenken. Ich bin überzeugt: An einer stabile Mitte, kann man nur im Dojo und nicht im Sportverein üben.

Aikido als Realitätsbewältigung (1)

Können wir im Dojo auch unsere gesellschaftliche und individuelle Realität verändern? Ich meine , dass der Sport oder die Hobby`s überwiegend vom Leistungsdenken und blindem Aktionismus geprägt sind. Sie helfen uns zwar hervorragend über die Bedrückungen, an denen wir chronisch leiden , hinweg, an den Quellen unserer Schmerzen ändern sie nichts. Schwitzend gelangen wir kurzfristig zu einer Leistungszufriedenheit, unsere radikale Leistungsbedürftigkeit wird indessen nicht gemildert. Zwar sollte man die "bloß" lindernde Funktion der körperlichen Betätigung auf keinen Fall gering achten. Ein gutes Schmerzmittel ist viel Wert, eine Erlösung auf Stunden unendlich besser, als gar keine Erlösung. Trotzdem ist die Frage legitim, ob man aus dem Dojo im Hinblick auf seinen seelischen Nutzen mehr machen kann. Liegt im Aikido auch die Möglichkeit zu einer echten Klärung und Veränderung des Ich? Diese Möglichkeit ist gegeben, sogar in einem hohen Maße. Nur bedarf es dazu einiger Voraussetzungen, die wir in der Regel nicht mitbringen. Es geht um den Impuls Fragen zu stellen, wie diese: Wovor will ich mich schützen? Warum brauche ich Selbstverteidigung oder Kampfsport? Was gibt es mir Positives? Innere Dialoge dieser Art waren noch niemals Vorlieben und Stärken von "Kämpfernaturen". Prinzipiell bildet Aikido, in all den Fällen, wo es hohen Stellenwert besitzt, einen hervorragenden Ansatzpunkt zur Begegnung mit den verborgenen, und das heißt zumeist mit den schmerzlichen Seiten des eigenen Ich. Zugleich ist es ein Mittel, das sich zur Ausschaltung tieferer Selbstbegegnung eignet. Aikido- ein Weg, man kann ebenso gut von sich weglaufen, wie man zu sich hinfinden kann. Aber da ist noch das Dojo und die Auseinandersetzung mit dem Lehrer. Am Ende kann es jeder selbst ausprobieren. Ich bin für jede Frage dankbar.


Das äußere und das innere Ziel (2)

Das Aikido betreffend ergibt sich dabei folgende Problematik. Aikido ist ein partnerbezoge-ner Übungsweg. Ein wesentliches Ziel der Aikido-Bewegungen ist es, einen angreifenden mit einer eigenen Dynamik agierenden Partner zu kontrollieren oder zu werfen. Dieses Ziel erhöht – verglichen mit einem partnerlosen Übungsweg – die Komplexität für den Übenden, denn sie erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, die nach außen gehen muss. Dadurch wird aber ein Bezug zu sich selbst als Voraussetzung für das innere Wachsen des Übenden erschwert. Um einen „Do“ zu üben, ist es trotz dieser Schwierigkeit notwendig, über das Erlernen und Wiederholen der Technik und ihre äußere Anwendung hinauszugehen. Der Übende muss im Verlauf seines Weges selbst „das Objekt“ der Übung werden. Wenn es dem Übenden nicht gelingt, neben der Form, die er trainiert, auch auf sich und die eigene Verfassung zu achten, kann es beim Trainieren einer Kunstfertigkeit bleiben. Es erscheint mir daher sinnvoll, zwi-schen einem äußeren und einem inneren Übungsziel zu unterscheiden. Das äußere Ziel eines traditionellen Übungsweges ist es sicher, eine Meisterschaft in der Technik zu erlangen; das innere Ziel ist es, dass die Meisterschaft im Außen einhergeht mit einem inneren Reifungsprozess, der das äußere Ergebnis glaubhaft als Ausdruck eines inner-lich gereiften Menschen erscheinen lässt. Ein solcher Weg erfordert Jahre, eher noch Jahr-zehnte. Denn der Übende begegnet nicht nur seinem Unvermögen in der Ausführung einer Technik, er begegnet in dem Maße, wie seine äußere Sicherheit zunimmt, auch den Störun-gen, die in ihm selbst auftauchen.


Inneres Frei-Werden (2)

Ein so umfassendes Üben bewirkt, dass, wenn wir uns selbst in das Training mit einbeziehen, wir zumindest in den Trainingszeiten nach und nach frei werden von den vielfältigen Einflüs-sen des Alltags und unserer eigenen Person, obwohl wir sie gegebenermaßen notwendig zum Training mitbringen. Sie gehören zu uns und doch sind wir mit ihnen nicht in der Tiefe unse-res Wesens (unseres wahren Selbsts) identisch. Hier muss sicher gesagt werden, dass es gerade beim Aikido wohl kaum einen Menschen gibt, der „nur“ die Techniken übt. Das ist auch gar nicht möglich angesichts des Umstandes, dass wir mit unserem Körper üben, und diesen Körper haben wir nicht nur, wir sind dieser Körper. Das heißt, wir üben nicht nur Abläufe ein, wir machen immer auch Erfahrungen mit uns selbst, mit unseren Möglichkeiten und Grenzen und wir machen immer auch Erfahrungen mit dem Übungspartner, der in gewisser Weise unser Spiegel ist. Dennoch besteht die Gefahr, dass mit zunehmendem Können und Routine sich entweder ein gewisses Erlahmen im Training einstellt oder dass aufgrund der erarbeiteten Fähigkeiten zu sehr das Ergebnis – eine gute Technik und ihre Effektivität – ins Blickfeld der eigenen Auf-merksamkeit kommt, unsere Persönlichkeit aber kaum eine Rolle spielt. Durch ein dauerhaftes – insbesondere geistiges – Erlahmen beim Training oder ein zu starkes Fixieren der Technik werden indes die inneren und wohl auch äußeren Entwicklungsmöglich-keiten für den Übenden eingeschränkt. Wenn man nicht mehr auf dem „Weg“ weiterkommt, ist es hilfreich, den eigenen Stand zu reflektieren und sich hierbei nicht allein auf die Weiter-entwicklung oder Vervollkommnung der technischen Abläufe zu beschränken, sondern auch die eigene Persönlichkeit respektive den eigenen „Do“ in das Blickfeld einzubeziehen. Für eine Gesamtentwicklung ist es notwendig, über die Technik und ihr Üben hinauszugehen und sich mit seiner ganzen Person immer wieder neu in das Training mit hinein zu nehmen. Beziehen wir neben den Schwierigkeiten der verschiedenen Techniken unsere inneren Un-vollkommenheiten in das Üben in rechter Weise mit ein, überlagern sie beim Üben immer weniger unser Tun und auch immer weniger unsere eigene Person. Es sollte dabei weder zu einer Fixierung der inneren Vorgänge kommen noch zu ihrer Verdrängung, sondern um ihr Gewahr-Werden und in der fortgesetzten Übung um ein schichtweises Loslassen. Eine solche Entwicklung trägt keine schnellen Erfolge in sich, sondern dieser Prozess dauert wie gesagt Jahre oder Jahrzehnte. Einhergehend mit dem Fortschreiten in der Technik und dem Loslassen der störenden inneren Anteile entwickelt sich langsam ein konstruktives Gefühl für eine auch innerlich stimmige Atmosphäre, das langsame Wachsen des „wahren Selbsts“. Dabei entsteht ein innerer Zusammenhang zwischen einer „reinen“, d.h. von inneren Vorgängen freien Technik und uns selbst. In dieser Kongruenz zwischen ausgeführter Technik und Person ist eine solche „reine“ Technik Ausdruck unserer größer werdenden inneren Freiheit sowie unse-rer wachsenden eigentlichen Wesens-Natur, die frei ist von störenden Gedanken- und Emoti-onsvorgängen.


Fortsetzung Entwicklung und Perspektive

Gerade in dieser Situation sollte die Persönlichkeit und ihre Gesamtentwicklung und Reife sowohl in den eigenen Unterricht wie auch in die eigenen Bewegungen Einfluss finden. Auch und besonders dadurch gibt man den Geist des Aikido weiter. Zu einer Übertragung unserer Erfahrungen beim Training auf unser alltägliches Leben meine ich Folgendes: Auch wenn wir im wiederkehrenden Alltag die positiven Erfahrungen, die wir im Dojo machen, nicht halten können, sondern immer wieder eingeholt werden von den viel-fältigen äußeren und inneren Problemen des Lebens und unserer eigenen Person, so wirken die guten Erfahrungen während des Übens doch nach, stärken uns und lassen uns mit unserer Umgebung und den Problemen des Alltags zumindest manchmal anders umgehen und viel-leicht auch einige Situationen besser meistern, als wenn wir keinen Übungsweg beschreiten würden. Gerhard Kronberg, Münster